Graugänse in Hamburg: Teilweise irreführende Berichterstattung in den Medien
In den letzten Wochen erschienen zuerst im Abendblatt - und der Berichterstattung des Abendblatts folgend auch in anderen Hamburger Medien - Artikel über Graugänse und andere Wasservögel. Oft werden die Graugänse als „Plage“ bezeichnet. Unter Fachleuten und etlichen Hamburgerinnen und Hamburgern haben diese Berichte für großes Entsetzen gesorgt. Denn bedauerlicherweise sind einige dargestellte Inhalte sachlich falsch und basieren nicht auf wissenschaftlichen Fakten.
Das kann dazu führen, dass die Öffentlichkeit einen einseitigen Eindruck zur Situation der Wasservögel, im Speziellen von Graugänsen in Hamburg bekommt. Daher ist es wichtig, an dieser Stelle einige Punkte richtig zu stellen.
Bei den im Mai und Juni anwesenden Graugänsen in Hamburg handelt es sich überwiegend um "Mausergäste", welche auch aus Schleswig-Holstein oder Niedersachsen kommen und nur einmal im Jahr für vier bis fünf Wochen die Alster aufsuchen. Anhand von Markierungen mit Ringen der Vogelwarte Helgoland wird regelmäßig dokumentiert, dass der Großteil der mausernden Gänse aus anderen Gebieten stammt und nur einmal im Jahr zur Mauser erscheint. Sie sind sozusagen „Mauser-Touristen“. Ab Mitte Juni ziehen sie wieder ab.
Was ist die Mauser?
Im Mai und Juni erneuern Graugänse ihre Schwungfedern. Deshalb sind sie rund vier Wochen lang flugunfähig und daher sehr gefährdet. Weil sie ihren Feinden nicht davonfliegen können, müssen sie in Ufernähe bleiben, um bei Gefahr schnell zum sicheren Wasser laufen zu können. Geeignete Gebiete für die Mauser sind selten. Außerdem sind die Vögel in einer größeren Gruppe besser vor Feinden geschützt.
Die Außenalster ist mit ihren 164 Hektar und den angrenzenden Kanälen das größte Gewässersystem in Hamburg und Umgebung, weshalb sie ein wichtiger Mauserplatz ist. Denn viel Wasser bedeutet viel Sicherheit für flugunfähige Vögel. Während viele andere Gewässer durch lange Trockenphasen vielfach geringe Wasserstände haben, führt die Alster dank der Schleusen einen recht konstanten Wasserstand.
Daher ist es besonders wichtig, die Bevölkerung und Gäste in der Stadt aufzuklären. Der Bezirk Wandsbek beispielsweise klärt durch entsprechende Hinweisschilder über die Situation auf. Diese Infotafeln wurden in Zusammenarbeit mit dem Neuntöter e. V. entwickelt. An der Alster wären mehrsprachige Schilder wichtig für die vielen Touristen in der Stadt.
Hintergrund zum Vorkommen der Graugans
Graugänse gab es schon immer in Norddeutschland. Im 16. Jahrhundert galt diese Art noch als häufiger Brutvogel. Damals lebte sie in Mooren, Sümpfen und Flussauen, die es überall im norddeutschen Tiefland gab. Nach und nach wurden solche Gebiete trocken gelegt, Flüsse begradigt und somit der ursprüngliche Lebensraum der Gänse zerstört. Der zunehmende Jagddruck mit besseren Waffentechniken führte zusätzlich dazu, dass die Graugans Ende des 19. Jahrhunderts in Mitteleuropa fast ausgerottet wurde. Zwischen den 1950er und den 1980er Jahren gab es einige Wiederansiedlungsprojekte. Seit den 1990er Jahren brütet die Graugans wieder regelmäßig in vielen Gebieten Mitteleuropas.
Kaum Platz für Graugänse und andere Wasservögel
Heutzutage gibt es kaum noch natürliche Lebensräume für die Graugänse, weshalb sie gezwungen sind in Parkanlagen, auf Golfplätzen, Friedhöfen etc. zu leben. Denn dort finden sie den Wechsel aus Wasser und Wiesen, wie es ihn sonst nur noch selten gibt. Auf Friedhöfen fressen sie in der Regel das Gras zwischen den Gräbern, da die Grabbepflanzungen für Gänse meist ungenießbar sind. Was Rehe und Hasen nachts fressen ist nicht bekannt.
Entlang der kanalisierten Alster gibt es keine ausgewiesenen Grünflächen als Rückzugsräume für Graugänse und andere Wasservögel. Fast überall an den Ufern und auf dem Wasser sind die Vögel teils starkem Freizeitdruck ausgesetzt. Zusätzlich gefährdet die enorm gestiegene Anzahl von Hunden die Wasservögel in vielen Bereichen.
Der Großteil der Ufer entlang der kanalisierten Alster und der angrenzenden Kanäle sind mit Mauern und Spundwänden verbaut. Es gibt nur sehr wenige Bereiche mit natürlichen flachen Ufern, an denen sich dann natürlich viele Wasservögel sammeln. Der Denkmalschutz verhindert leider häufig die Schaffung natürlicher Uferbereiche.
Die Alster erwärmt sich vor allem durch die vielen Mauern und Spundwände, die auch heutzutage immer noch neu gebaut werden, anstatt begrünte natürliche und beschattete Ufer zu schaffen. Der Denkmalschutz verhindert leider vielfach auch Renaturierungen. Selbst bei Sanierungen und Umgestaltungen wie beim Seelemannpark in Eppendorf, werden wieder Mauern und Ähnliches gebaut, anstatt natürliche grüne Ufer zu schaffen.
In Hamburg und Umgebung gibt es kaum Naturschutzgebiete, die als Mauserplätze geeignet sind. Deshalb suchen die Gänse vielfach Parkanlagen für den Federwechsel auf.
Kaum Rücksicht auf Graugänse und andere Wasservögel in Parks
Bei der Umgestaltung von Parkanlagen, bei der Einrichtung von Baustellen oder bei größeren Events wird leider nur selten Rücksicht auf die Lebensweisen der Wasservögel genommen. Beispielsweise bei der Sanierung von Brücken, wo nicht immer darauf geachtet wird, dass Wasservögel mit ihrem Nachwuchs zwischen wichtigen Nahrungs- und Ruheflächen hin und her schwimmen können. An für Wasservögel wichtigen Ufern werden u.a. breite Wege oder Bewegungsinseln mit Kunststoffböden gebaut, sodass Graugänse dort ihren Kot hinterlassen, weil sie zur Nahrungssuche darüber laufen müssen. Baustellen an Ufern nehmen wichtige Flächen weg, sodass die restlichen Flächen intensiver genutzt werden müssen. Umgestaltungen von Parks finden mitten in der Brutzeit statt und sorgen dadurch für Störungen. Der Ironman wurde mitten in die Brutzeit vorverlegt, sodass brütende und mausernde Wasservögel auf der Binnenalster und im Bereich der südlichen Außenalster erheblich gestört werden. Zudem löst das Feuerwerk beim Kirschblütenfest Ende Mai bei allen Wasservögeln Panik aus!
Wichtige Forschung
Der Neuntöter e.V. erfasst im Projekt „Gans Hamburg“ mit vielen ehrenamtlich aktiven Menschen ganzjährig die Bestände in den Parks, ermittelt den Bruterfolg und markiert Graugansfamilien in Zusammenarbeit mit dem Institut für Vogelforschung "Vogelwarte Helgoland" (IfV).
Die Ablesungen zeigen beispielsweise wie alt Graugänse werden, welche Gänse ein Paar sind, wie viele Jungvögel überleben, an welche Orte sie im Laufe des Jahres fliegen und wann und warum sie sterben. Das ist auch wichtig um zu dokumentieren, welche Gänse zu welchen Zeiten welche Parkanlagen aufsuchen.
Schäden an Wasserpflanzen
Nicht nur Wasservögel fressen bestimmte Pflanzen. In den letzten Jahren konnten wir vermehrt Nutrias entlang der westlichen Außenalster beobachten, mittlerweile auch mit Nachwuchs. Bisamratten leben bereits seit vielen Jahren entlang der westlichen Außenalster. Beide Arten fressen hier ganzjährig an den Wasserpflanzen, genauso wie Blässrallen und Höckerschwäne während der Vegetationsperiode. Aber auch die zunehmenden Unwetter mit den damit verbundenen höheren Wellenschlägen verursachen Schäden an den Ufern.
Graugänse fressen nur bestimmte Pflanzen. Wir dokumentieren seit einigen Jahren, welche Pflanzenarten von den Gänsen gefressen werden und welche nicht. Somit können gezielt Uferpflanzen verwendet werden, die von Graugänsen gemieden werden, wie beispielsweise Seggen, Wasserminze oder Blutweiderich. Nur wenn auf den Wiesen viele Hunde unterwegs sind, weichen Gänse aufs sichere Wasser aus und fressen dort aus der Not heraus teilweise Schilf.
Graugänse und andere Vögel
Graugänse leben mit anderen Wasservögeln gut zusammen. Andere Wasservögel profitieren von der Wachsamkeit der Gänse, da diese meist als erste vor Gefahren warnen. Während die meisten anderen Wasservögel überwiegend tierische Nahrung zu sich nehmen, ernähren sich Graugänse ausschließlich von Pflanzen, vor allem von Gräsern, Klee und Löwenzahn.
Der gering anmutende niedrige Bestand der Stockente in den Alsteruferbereichen ist folgendermaßen begründet: Die Stockente ist mit Abstand der häufigste Wasservogel Mitteleuropas. Zur Brut und Jungenaufzucht bevorzugt diese Art allerdings eher kleinere Gewässer mit viel Vegetation. Selbst Gartenteiche und Gräben werden besiedelt. Auf den offenen Alsterkanälen mit überwiegend verbauten Ufern und vielen Störungen durch Boote und Hunde findet die Stockente während der Brutzeit keine optimalen Bedingungen vor. In den letzten Jahren sind viele Stockenten durch Viruserkrankungen wie „Vogelgrippe“ und Botulismus verendet. Auch ihnen fehlen entlang der Alster vielfach natürliche Uferbereiche, in denen sie Schutz und Nahrung finden. Viele ins Wasser ragende Bäume wurden in den letzten Jahren entfernt. Die kleinen Wasservögel sind besser getarnt und unauffälliger, daher werden sie von vielen Menschen nicht gesehen oder wahrgenommen.
Höckerschwäne sind den Gänsen körperlich deutlich überlegen, verdrängen diese oft und greifen auch deren Nachwuchs an. Blässrallen vertreiben regelmäßig erfolgreich Graugänse und andere größere Wasservögel aus ihren Revieren bzw. von ihren Nestern. Kormorane setzen sich ebenfalls erfolgreich gegen Graugänse durch und haben ganz andere Lebensraumansprüche.
Die in den letzten Jahren stark gestiegene Anzahl von Booten sorgt in vielen Bereichen für viel Stress für die Wasservögel. Leider werden immer wieder Nester von Haubentauchern oder von Blässrallen durch Boote zerstört. Ebenso stellen Hunde auf SUP Boards eine Bedrohung für Wasservögel dar, denn eigentlich waren sie auf dem Wasser immer sicher vor Hunden.
Der Kot der Gänse lockt zahlreiche Insekten an, von denen wiederum viele andere Tiere leben, insbesondere Vögel. An jedem größeren Mauserplatz gibt es Brutvorkommen von Bachstelzen, welche zwischen den grasenden Gänsen vor allem nach Fliegen jagen. Ebenso tun dies beispielsweise Rotkehlchen, Stare und Haussperlinge.
Stege
Bootsstege sind in vielen Bereichen die einzigen Rückzugsmöglichkeiten für die Wasservögel, wo sie vor dem teils starken Freizeitdruck entlang der Ufer und den vielen Hunden geschützt sind. Mit kleinen baulichen Veränderungen kann man hier Stege sauber halten. Zudem sollte es parallel dazu Stege bzw. Plattformen für die Wasservögel geben, damit sie ausweichen können und der Ansturm auf die Bootsstege verringert wird.
Fazit
Der Mensch hat die Graugans fast ausgerottet und ihre ursprünglichen Lebensräume überwiegend zerstört. Auch heutzutage werden immer wieder Lebensräume der Graugänse durch verschiedene Bauvorhaben in Hamburg und Umgebung vernichtet, sodass ihr Lebensraum weiter schrumpft. Daher haben wir eine gewisse Verantwortung für diese Tiere. Viele Menschen erfreuen sich an den Gänsen und sehen diese als Bereicherung an. Graugänse sind faszinierende hochsoziale Vögel, die man zu bestimmten Jahreszeiten in mehreren Grünanlagen wunderbar beobachten kann. Der Großteil der Graugänse erscheint nur für einen Monat im Jahr zur Mauser im Mai und Juni in der Stadt.
Es ist nicht zielführend mit Desinformationen und polarisierenden Berichten in der Presse die Bevölkerung zu verunsichern. Es ist hingegen wichtig über die Situation der Graugänse aufzuklären und gemeinsam mit Fachleuten Lösungen zu entwickeln, damit ein gemeinsames Zusammenleben stattfinden kann.