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Gans mobil – Graugansfamilien unterwegs

Ein Beitrag von Simon Hinrichs

Durch die Beringungen von Graugänsen können wir u. a. viele spannende Details über deren Zugrouten und Rastplätze erfahren. Aber auch zu Fuß können Graugänse von A nach B kommen und dabei ordentlich Strecke machen.

 

Im Frühling hört man regelmäßig in den Verkehrsmeldungen von „Entenfamilien“ auf Straßen, häufig handelt es sich dabei auch um Graugansfamilien. Es gibt einige Gewässer an denen plötzlich Graugansfamilien auftauchen, ohne dass dort zuvor Nester entdeckt wurden bzw. ohne dass es überhaupt einen (sicheren) Brutplatz vor Ort gibt. 

Graugänse brüten meistens versteckt auf Inseln oder in Schilfgebieten. Wenn solche sicheren Brutplätze fehlen, können sie auch an geschützten Bereichen entlang von Kanälen nisten. Einzelne Paare brüten auch in Greifvogelhorsten, teilweise fernab von Gewässern.

 

Abwandern oder verhungern

Da Graugänse Nestflüchter sind, also die Gösseln (Küken) nicht von ihren Eltern gefüttert werden, müssen die Familien kurz nach dem Schlupf (in der Regel am folgenden Tag) Bereiche mit ufernahen Wiesen oder Rasenflächen erreichen. Grauganseltern zeigen ihren Gösseln welche Pflanzen genießbar sind und sorgen sonst „nur“ für Schutz und Wärme. 

Selten liegen gute Brutplätze und reichhaltige Nahrungsflächen direkt nebeneinander, weshalb viele Gänseeltern teils längere Wanderungen mit ihren frisch geschlüpften Gösseln unternehmen, teilweise quer durchs Stadtgebiet.

Wenn sie Glück haben können sie dabei Flüsse oder Kanäle als Wanderrouten nutzen. Meistens müssen die Familien aber auch Straßen überqueren, Bahnlinien „unterwandern“ (sie nutzen Unterführungen) und durch ein Labyrinth aus Gartenzäunen und Mauern ihren Weg finden.

 

Dabei sind sie vielen Feinden oft schutzlos ausgeliefert, da sichere Wasserflächen fehlen und vielfach auch nicht angeleinte Hunde auf die Familien treffen können; und dann ist da ja noch der Straßenverkehr!

Aber für einen sicheren Brutplatz und damit ihr Nachwuchs nicht verhungert, nehmen viele Paare solche Wanderungen auf sich. Manchmal fragt man sich allerdings warum die Paare ausgerechnet dieses Gewässer erreichen wollten, obwohl andere naheliegende Gewässer besser geeignet wären.

Rabenkrähen lauern auf einen unaufmerksamen Moment der Eltern. (B. Eisenhardt)
Rabenkrähen lauern auf einen unaufmerksamen Moment der Eltern. (B. Eisenhardt)
Große Möwenarten wie Silbermöwen erbeuten regelmäßig Gössel. (B. Eisenhardt)
Große Möwenarten wie Silbermöwen erbeuten regelmäßig Gössel. (B. Eisenhardt)

 

Durch unsere Beringungen können wir solche spannenden Wanderungen verfolgen und dokumentieren. Dank Ringablesungen kennen wir von den meisten Paaren die Brutplätze und können dann später feststellen, wo sie mit ihrem Nachwuchs auftauchen.

 

Treue Wanderer

Graugänse sind sehr brutplatztreu und nutzen über Jahre hinweg sogar dieselben Nester. Auch haben sie dann ihre traditionellen Wanderrouten, welche die einzelnen Paare jedes Jahr nutzen.

Aber es gibt auch immer mal wieder „Ausreißer“, also völlig neue und/oder wahnsinnige Wanderungen!

Viele solcher Routen sind uns allerdings noch gar nicht bekannt, meist bekommen wir nur den Start und das Ziel mit. Um so eine Wanderung mitzuerleben braucht man nämlich viel Geduld und vor allem Glück. Meistens wandern die Familien morgens oder vormittags vom Brutplatz ab und dabei haben sie es immer sehr eilig; sie müssen so schnell wie möglich das sichere Zielgewässer erreichen.

 

Beim Wandern haben es Gänsefamilien immer eilig. (S.Hinrichs)
Beim Wandern haben es Gänsefamilien immer eilig. (S.Hinrichs)
Mutter sollte sich nicht zu sehr ablenken lassen. (S. Hinrichs)
Mutter sollte sich nicht zu sehr ablenken lassen. (S. Hinrichs)

 

Wir freuen uns über Meldungen solcher Wanderungen! (gans-hamburg@neuntoeter-ev.de)

 

Einen Teil dieser Wanderungen stellen wir hier nun vor:

 

Vom Eppendorfer Moor zur Alster

Das NSG Eppendorfer Moor in Groß Borstel bietet einige Brutplätze im Schilf und auf Inseln. In den letzten Jahren haben die Graugänse dort allerdings kaum noch Bruterfolg. Bis vor 10 Jahren erfassten wir dort noch jährlich bis zu 20 Familien. Da es keine größeren Wiesen im Eppendorfer Moor gibt, welche die Gänsefamilien dauerhaft ernähren könnten, wandern die dortigen Familien alle zur Alster ab. Zudem trocknet das Moor in vielen Jahren aus und bietet dann Wasservögeln keinen sicheren Lebensraum mehr. Auf dem Weg zur Alster müssen sie den Ring 2 überqueren. Die meisten Familien nahmen den direkten Weg und liefen über die Wilhelm-Metzger-Straße zum Inselkanal oder nördlich davon Höhe Alsterkrugchaussee 244 zur Alster. Einige marschierten aber auch quer über die Kreuzung am Rosenbrook zum Eppendorfer Mühlenteich.

 

Gänsefamilie auf dem Weg zur Kreuzung am Rosenbrook. (S. Hinrichs)
Gänsefamilie auf dem Weg zur Kreuzung am Rosenbrook. (S. Hinrichs)
Grauganseltern gehen erst los, wenn die Autos abbremsen. (S. Hinrichs)
Grauganseltern gehen erst los, wenn die Autos abbremsen. (S. Hinrichs)
Nach sicherer Überquerung ist es nicht mehr weit bis zur Alster. (S. Hinrichs)
Nach sicherer Überquerung ist es nicht mehr weit bis zur Alster. (S. Hinrichs)

Von Bramfeld nach Farmsen

Neu und einmalig war im Jahr 2015 die Wanderung einer Graugansfamilie vom Bramfelder See zur ehemaligen Trabrennbahn in Farmsen! Der Vater wurde im Jahr 2006 als Jungvogel auf der Trabrennbahn beringt und kannte bereits die Wanderung vom Rückhaltebecken der Osterbek „Eenstock“; ein Teil der Route war daher möglicherweise schon bekannt. 

Die Mutter war nicht beringt, sodass wir Nichts über ihre Herkunft wussten. 

 

Von Bramfeld nach Farmsen
Von Bramfeld nach Farmsen

Bramfelder See, Hamburg

N53°37'10'' 10°03'58''

 

Farmsen, Trabrennbahn Hamburg

N53°35'42'' E10°06'10''

Von Bahrenfeld nach Klein Flottbek

Jedes Jahr erscheinen plötzlich Graugansfamilien im Botanischen Garten, Nester gibt es dort allerdings nicht. Woher sie kommen ist in den meisten Fällen nicht bekannt, obwohl die Eltern teilweise beringt sind. Im erweiterten Umfeld des Botanischen Gartens muss es also mehrere bisher unentdeckte Brutplätze geben!

Im Jahr 2019 konnte einer der Brutplätze entdeckt werden. Wir staunten nicht schlecht, als eines dieser Paare brütend auf einem kleinen Teich auf dem Friedhof Altona abgelesen wurde! Den Vater hatten wir im Jahr 2013 in Winterhude am Mühlenkampkanal beringt, die Mutter war unberingt.

Traditionell erschien das Paar anschließend samt Nachwuchs im Botanischen Garten in Klein Flottbek; welche Route sie dabei gewählt haben ist leider nicht bekannt.

 

Interessant ist, dass dieses Paar im folgenden Jahr wieder mit Nachwuchs im Botanischen Garten aufgetaucht ist, es aber definitiv nicht auf dem Friedhof Altona gebrütet haben, da dort ein Kanadaganspaar den Teich für sich beanspruchte.

In diesem Jahr tauchte das besagte Paar dann plötzlich mit Gösseln im Flaßbargmoor in Lurup auf. Wo ihr Brutplatz war ist nicht bekannt, ein Nest wurde dort nie entdeckt. Mittlerweile ist die Familie hinüber zum Helmuth-Schack-See in Osdorf gewandert; ob sie noch zum Botanischen Garten wandern?

 

Von Bahrenfeld nach Klein Flottbek
Von Bahrenfeld nach Klein Flottbek

Friedhof Altona, Hamburg

N53°35'02'' E09°53'09''

 

Klein Flottbek, Botanischer Garten, Hamburg

N53°33'43'' E09°51'42''

 

Ein Gans besonderer "Ostermarsch" von Holm nach Osdorf

Auch am Helmuth-Schack-See in Osdorf wandern jedes Jahr Graugansfamilien zu, ohne dass ihre Herkunft bekannt ist. Am Helmuth-Schack-See selbst gibt es nur selten erfolgreiche Bruten, auch weil hier in den letzten Jahren die Kanadagänse dominanter sind und zunehmend Graugänse vertreiben.

 

Am Vormittag des Ostersonntags (17. April) bekam ich ein Foto von T. Rust, welches ein beringtes Paar mit drei Gösseln zeigte, wie sie eilig über den Butterbargsmoorweg liefen. 

 

10:17 Uhr: Graugansfamilie überquert den Butterbargsmoorweg. (T. Rust)
10:17 Uhr: Graugansfamilie überquert den Butterbargsmoorweg. (T. Rust)
Überschwemmte Wiese in der Rissener Feldmark, eigentlich ein netter Gänseplatz. (T. Rust)
Überschwemmte Wiese in der Rissener Feldmark, eigentlich ein netter Gänseplatz. (T. Rust)

Kurz darauf querte die Familie den Sandmoorweg in Richtung Westen; sie verließen also Schleswig-Holstein und setzten ihre „Reise“ nach Hamburg fort. Gegen 15 Uhr wurde die Familie dann nochmal auf einer überschwemmten Wiese am Laufgraben in der Rissener Feldmark beobachtet.

Die Familie ist vollständig am Helmuth-Schack-See angekommen. (B. Eisenhardt)
Die Familie ist vollständig am Helmuth-Schack-See angekommen. (B. Eisenhardt)

Am 21. April fotografierte W. Hartz eine beringte Graugansfamilie mit drei Gösseln am Helmuth-Schack-See, konnte aber die Ringnummern nicht ganz entziffern. Ein Fall für B. Eisenhardt, welche dann meine Vermutung bestätigte: Die Familie vom Butterbargsmoor war nach Osdorf gewandert!

 

Allein die Luftlinie beträgt knapp 7 km. Die Familie muss also über Wiesen, Felder und Straßen in die Osdorfer Feldmark und anschließend zum Helmuth-Schack-See gewandert sein! Alle drei Gössel haben es geschafft. 

 

 

Die Mutter hatten wir im Jahr 2016 als Jungvogel am Helmuth-Schack-See in Osdorf beringt, dies ist ihr erster Brutnachweis. Auch sie war damals mit ihrer Familie plötzlich zugewandert, sie und ihre Geschwister waren damals bereits fast 6 Wochen alt! Wo ihre Eltern gebrütet hatten war nicht bekannt, trotz der Beringung des Vaters. 

 

Viele Feinde, Konkurrenz und teils starker Freizeitdruck sorgen für teils hohe Verluste bei den Graugansfamilien. (B.Eisenhardt)
Viele Feinde, Konkurrenz und teils starker Freizeitdruck sorgen für teils hohe Verluste bei den Graugansfamilien. (B.Eisenhardt)

Eine Woche später führte das Paar allerdings nur noch einen Gössel, was vermutlich auch mit der schlechten Nahrungsverfügbarkeit vor Ort zusammenhängt. Denn es gibt dort nur eine winzige Rasenfläche, auf welcher teilweise starker Freizeitdruck herrscht. Zudem verteidigen dort Kanadagänse ihre Reviere und viele Hunde laufen ohne Leine durch die Uferbereiche.

 

Da fragt man sich, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre zu den ehemaligen Kiesgruben bei Appen-Etz zu laufen. Die Luftlinie beträgt nur 1,7 km und dort führen bereits mehrere Grauganspaare ihren Nachwuchs auf den ufernahen Wiesen.

Aber Graugänse sind halt sehr „traditionsbewusst“ und unsere Beringungen zeigen, dass die weiblichen Gänse fast immer ihren Nachwuchs dort „großziehen“ wollen, wo sie selbst aufgewachsen sind. Das macht ja auch Sinn, denn als mobile Familie (Nestflüchter) ist es wichtig das Gebiet zu kennen und zu wissen wo man Nahrung und sichere Ruheplätze findet.

Die jungen Ganter dagegen suchen sich in den meisten Fällen ihre Partnerinnen in anderen Populationen; so wird der genetische Austausch gesichert. Auch die drei Brüder der wandernden Mutter haben dies getan und sich mit Gänsen aus Winterhude, Alsterdorf und Farmsen verpaart.

 

Wir sind sehr gespannt wie es mit dieser und anderer Familien weitergeht. Vielleicht gelingen in den kommenden Jahren weitere interessante Brut- und Wanderdokumentationen. 

 

Von Holm nach Osdorf
Von Holm nach Osdorf

Holm, NSG Butterbargsmoor, Kreis Pinneberg 

N53°37'11'' E09°44'37''

 

Osdorf, Helmuth-Schack-See, Hamburg

N53°35'39'' E09°50'29''

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Heidi (Freitag, 06 Mai 2022 18:23)

    Das sind ja wirklich spannende Geschichten! Danke fürs Erzählen.